WIKOOP-INFRA

 

Zuwendungsgeber:


Projektpartner:

Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY

German Institute for Global and Area Studies (GIGA)

Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik (IFSH)

Helmholtz-Büro Peking


Projektteam:

Marcus Conlé (DESY)
Frank Lehner (DESY)
Martin Sandhop (DESY)
Jost Wolff (DESY)
Jana Wolfram (DESY)
Margot Schüller (GIGA)
Götz Neuneck (IFSH)
Hong He (Helmholtz Büro Peking)


Projektzeitraum:

1.9.2021 - 29.2.2024

 

Kontakt:

Jost Wolff
jost.wolff@desy.de

Willkommen auf der Homepage des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts „Handlungs- und Orientierungssicherheit in wissenschaftlichen Kooperationen mit China – Untersuchungen an analytischen Forschungsinfrastrukturen“ (WIKOOP-INFRA).

Ausgangspunkt des Projekts sind die veränderten Bewertungen der Chancen und Risiken der wissenschaftlichen Kooperation mit China. Den Chancen der Zusammenarbeit an den entstehenden chinesischen Forschungsgroßanlagen stehen zunehmende geopolitische Risiken gegenüber.

Unter Handlungssicherheit verstehen wir den kompetenten Umgang mit Kooperationsentscheidungen unter den veränderten Rahmenbedingungen. WIKOOP-INFRA hat zum Ziel, die Handlungssicherheit zu stärken. Mehr

Unsere Aktivitäten

Ausrichtung von Konferenzen, Workshops und Podiumsdiskussionen zu relevanten Themen Mehr

Dialog mit der Chinesischen Akademie der Wissenschaften (CAS) zu den Prinzipien der wissenschaftlichen Kooperation Mehr

Durchführung von Surveys, Experteninterviews sowie Fokusgruppen- und Hintergrunddiskussionen Mehr

Veröffentlichung von Reports und Policy Briefs Mehr

Die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit ist zentral für die Bewältigung der globalen Herausforderungen unserer Zeit. Angesichts der geopolitischen Entwicklungen der letzten Jahre ist die Internationalisierung von Wissenschaft und Forschung jedoch anspruchsvoller und vielschichtiger geworden.

Im Rahmen von WIKOOP-INFRA haben wir uns eingehend damit beschäftigt, wie unter den gegebenen Rahmenbedingungen gerade mit schwierigen, aber wichtigen Forschungspartnern, allen voran der Volksrepublik China, verantwortungsvoll kooperiert werden kann.

Die folgenden Empfehlungen sind das Resultat unserer Projektarbeit. Wir fassen hier die vier aus Sicht von WIKOOP-INFRA wesentlichen Bestandteile verantwortungsvoller Forschungskooperationen zusammen und schlagen eine sinnvolle Verteilung der Verantwortlichkeiten vor.


Die hier aufgeführten Ergebnisse sind entnommen aus dem WIKOOP-INFRA Policy Brief Nr. 05.

Unsere Empfehlungen

Verantwortungsvolle Kooperation
Die Wissenschaftsfreiheit ist Ausgangs- und Orientierungspunkt für die hiesige Wissenschaft. Sie ist durch das deutsche Grundgesetz und europäisches Recht garantiert und schützt Forschende in ihrer selbstbestimmten Suche nach Erkenntnis vor Beschränkungen durch Dritte, insbesondere von Seiten des Staates. Die Autonomie akademischer Einrichtungen ist die institutionelle Entsprechung dieser Freiheit und nicht nur laut UNESCO das zentrale Element eines konstruktiven Wissenschafts- und Bildungssystems. Wie der Academic Freedom Index (Update 2024) verdeutlicht, ist die Wissenschaftsfreiheit in vielen Ländern rückläufig. Die Bundesrepublik Deutschland gehört dank ihrer werteorientierten Politik und Ausbildung beständig zu den Ländern mit der höchsten Wissenschaftsfreiheit.

Aus dem Privileg der Wissenschaftsfreiheit entspringt Verantwortung. In erster Linie bezieht sich diese Verantwortung auf die effektive Wahrung der Integrität der Wissenschaft selbst. Darüber hinaus muss sich die Wissenschaftsgemeinde bewusst sein, dass mit ihrer privilegierten Stellung die Erwartung einhergeht, dass sie die ihr zugewiesenen öffentlichen Mittel nutzbringend für die Forschung zum Wohle der Gesellschaft einsetzt und die Risiken eines Missbrauchs der Forschung, der Frieden, öffentliche Sicherheit und nationale Interessen gefährdet, mit angemessener Sorgfalt reduziert. Der Selbstregulierung der Wissenschaft kommt somit die wesentliche Rolle zu, berechtigten Sicherheitsbedenken im Rahmen eines grundsätzlich offenen Wissenschaftssystems zu begegnen.

Verantwortungsvolle Kooperation ist prinzipiengeleitet. Dazu gehört die Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit mit der institutionellen Autonomie als Kernelement genauso wie die Stärkung der fundamentalen Prinzipien der Kooperation in einer offenen globalen Wissenschaft. Die Deutsche Physikalische Gesellschaft (DPG) hat die Prinzipien zusammen mit ihren internationalen Partnern auf drei Kernbegriffe prägnant heruntergebrochen: Integrität, Transparenz und Reziprozität. Darüber hinaus sollten internationalen Kooperationspartnern unmissverständlich verdeutlicht werden, dass auch wissenschaftliche Kooperation nicht bedingungslos ist. Insbesondere soll von deutscher Seite aus keine unmittelbare Beteiligung am Aufbau militärischer Kapazitäten, speziell in Konfliktregionen wie dem Indo-Pazifik, und keine unmittelbare Beteiligung an der Repression von Dissidenten und Minderheiten erfolgen.

Verantwortungsvolle Kooperation bedarf Maßnahmen zur Gewährleistung der Handlungssicherheit. Dabei ist es ist es wichtig, auch bei Auseinandersetzungen und gegensätzlichen Positionen den Dialog mit den Kooperationspartnern über die Prinzipien und Bedingungen der Kooperation zu suchen. Darüber hinaus sind organisationsinterne Maßnahmen zu treffen, um zu gewährleisten, dass die wissenschaftlichen Normen in der internationalen Zusammenarbeit Beachtung finden und dem Dual-Use-Problem in seiner rechtlichen, ethischen und strategischen Dimension angemessen Rechnung getragen wird.

Prinzipien und Maßnahmen für handlungssichere Kooperationen

Bestandteil 1: Wissenschaftliche Normen – Die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis
Die Wissenschaft kann ihre gesellschaftliche Verantwortung nicht wahrnehmen, wenn ihre Funktionsfähigkeit durch mangelndes Vertrauen in die Redlichkeit der in der Wissenschaft tätigen Personen untergraben wird. Werte wie Objektivität, Ehrlichkeit, Transparenz und Fairness bilden ein unverzichtbares Fundament für die kognitive Arbeitsteilung und kollektive Wissensvermehrung. In allererster Linie tragen Forschende und die Organisationen, in denen diese tätig sind, die Verantwortung dafür, diese wissenschaftsinternen Werte in Prinzipien für gutes wissenschaftliches Arbeiten zu übersetzen, in die wissenschaftliche Praxis bestmöglich zu integrieren und auch in der Zusammenarbeit mit Partnern, unabhängig von ihrer Herkunft, Geltung zu verschaffen. Konkret gehören zu den Prinzipien u.a. die Beachtung von fachspezifischen ethischen Standards, Nachvollziehbarkeitsanforderungen und Sorgfaltspflichten bei der Durchführung der Forschung sowie bei der Dokumentation und Veröffentlichung der Ergebnisse, die strikte Achtung und Zuordnung geistigen Eigentums und intellektueller Beiträge sowie das Streben nach Wahrheit und die Akzeptanz sachlicher Kritik.

Leitfrage:
Bleibt die Integrität der Forschung gewahrt?
Zwar orientiert sich auch China an den gängigen wissenschaftlichen Normen. Dennoch stehen chinesische Kooperationspartner auch immer wieder in der Kritik. Ein wesentlicher Grund hierfür ist der immense Druck, der auf chinesische Akteure im heimischen Wissenschaftssystem lastet, in hochrangigen akademischen Zeitschriften zu publizieren und Wissen zu kommerzialisieren. Statt von gleichen Rahmenbedingungen in Deutschland und China auszugehen, müssen diese Unterschiede Beachtung finden und schon vor Kooperationsbeginn effektiv adressiert und dokumentarisch festgehalten werden – insbesondere im Hinblick auf den Umgang mit, und den Verfügungsrechten (v.a. Background und Foreground IP) an, eingebrachtem Know-how, Daten und Forschungsergebnissen.

Der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erarbeitete Kodex beinhaltet die wesentlichen Leitlinien, die auch für die internationale Zusammenarbeit relevant sind:

DFG (2022) Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis,
Stand: April 2022 / korrigierte Version 1.1.
Bestandteil 2: Rechtliche Dimension des Dual-Use-Problems – Die Exportkontrolle
Zur Wahrung des internationalen Friedens und der außen- und sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands bzw. Europas unterliegt der grundsätzlich freie Außenwirtschaftsverkehr einigen Beschränkungen, die sich aus relevantem EU-Recht (v.a. der EU-Dual-Use-Verordnung), dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG), der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) und anderen relevanten Gesetzen ergeben. Ziel der Exportkontrolle ist eine Verhinderung der Beteiligung deutscher Akteure an der Proliferation von Massenvernichtungswaffen, der unkontrollierten Anhäufung von konventionellen Rüstungsgütern in Krisengebieten sowie der Bereitstellung von Gütern und Know-how für die Durchführung von schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen. In der Praxis bedeutet dies, dass die Versorgung von ausländischen Organisationen und Individuen im Aus- und ggf. Inland mit Dual-Use-Gütern (Waren, Technologie, Software), die auf der einschlägigen Güterliste der EU stehen oder bei Leitfrage:
Wofür gebe ich meine Fähigkeiten und Ressourcen?
denen deutliche Anhaltspunkte („positive Kenntnis“) für eine kritische Verwendung vorliegen, Ausfuhrbeschränkungen unterliegt. Das gilt ebenso für technische Unterstützungsleistungen (z.B. Wartungsarbeiten, Schulungen, Know-how-Transfer), die im Bezug zu einem gelisteten Dual-Use-Gut stehen und bei denen zusätzlich Kenntnis über eine kritische Endverwendung besteht. Der Fokus der Exportkontrolle liegt im akademischen Bereich auf einer Verhinderung der Bereitstellung von Technologie und technischem Wissen (Know-how) als direkte Inputs für die beabsichtigte, missbräuchliche Entwicklung, Herstellung oder Verwendung von Rüstungsgütern oder Überwachungstechnik, insbesondere in Embargo-Ländern.


Die VR China spielt eine besondere Rolle bei der Beachtung exportkontrollrechtlicher Vorschriften aufgrund des administrativen Waffenembargos, das die EU-Außenminister 1989 in einer gemeinsamen Erklärung beschlossen. Mit dem zunehmenden Fokus der Exportkontrolle auf den Schutz der Menschenrechte gewinnt China zudem an exportkontrollrechtlicher Relevanz, da das Land eine umfassende, überwachungstechnisch unterlegte Repression von Minderheiten und Dissidenten betreibt. Anders als in den USA, die im Kontext der Exportkontrolle Sanktionen auch außerhalb des internationalen Regimes verhängt und damit auch industriepolitische Ziele verfolgt, unterliegen chinesische Forschungseinrichtungen und Universitäten in der EU, gerade bei der im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Kooperationen vorrangigen „technischen Unterstützung“, allerdings keinen gesonderten Beschränkungen. Vor dem Hintergrund von Chinas Politik der militärisch-zivilen Integration muss der Endverwendung des eigenen Beitrags (Technologie, Know-how) dennoch eine erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden, wenn bestimmte Anhaltspunkte („Red Flags“) vorliegen. Anhaltspunkte für eine sorgfältigere Abwägung (und ggf. Kontaktierung des BAFA) liegen vor allem dann vor,
  • wenn es sich um Kooperationspartner handelt, die mit dem chinesischen Militär bzw. den Sicherheitsbehörden direkt verbunden sind,
  • wenn Industriepartner auf chinesischer Seite beteiligt sind,
  • wenn die eingebrachten Güter bzw. die technische Unterstützung in einer Weise angefragt werden bzw. einbezogen werden sollen, dass auf eine sicherheitsrelevante Verwendung geschlossen werden kann
Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) stellt einen Leitfaden zur Exportkontrolle speziell für die Wissenschaft bereit:

BAFA (2022) Handbuch Exportkontrolle und Academia,
2. Auflage/November 2022.
Bestandteil 3: Ethische Dimension des Dual-Use-Problems – Reflektion der Sicherheitsrelevanz
Ein eigenverantwortlicher Umgang mit der Dual-Use-Problematik geht über die bloße Einhaltung rechtlicher Regeln, bezogen auf die Bereitstellung von Inputs (Güter, Dienstleistungen i.S.v. technischer Unterstützung), hinaus und umfasst zusätzlich eine intensive Beschäftigung mit den angestrebten Ergebnissen der Forschung. Forschende sind angehalten, die Möglichkeiten und Folgen zu reflektieren, die sich aus ihrer Forschung geradewegs ergeben könnten. Der Gemeinsame Ausschuss zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung von DFG und Leopoldina formuliert es so:
„Herausforderungen bestehen insbesondere bei wissenschaftlichen Arbeiten, bei denen die Möglichkeit besteht, dass sie Wissen, Produkte oder Technologien hervorbringen, die unmittelbar von Dritten missbraucht werden können, um Menschenwürde, Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Umwelt oder ein friedliches Zusammenleben erheblich zu schädigen (sog. besorgniserregende sicherheitsrelevante Forschung – Dual-Use Research of Concern [DURC]).“
Für eine verantwortliche Durchführung und Kommunikation der Forschung ist es demnach wichtig, dass Forschende einen bewussten, risikosensiblen Umgang mit der Ambivalenz wissenschaftlicher und technischer Entwicklung pflegen. Denn Forschende sind am besten positioniert, die Folgen ihrer wissenschaftlichen ArbeitLeitfrage:
Welche sozialen und politischen Implikationen hat meine Forschung?
abzuschätzen und informierte Abwägungen zwischen Chancen und Risiken vorzunehmen. Besorgniserregende Forschung (DURC) bezieht sich im Allgemeinen auf Bedrohungen, die sich aus dem Forschungsgegenstand sowie aus den unmittelbaren Beweggründen von Partnern (Forschungspartnern, Forschungsförderern) und interessierten Dritten (z.B. militärische Akteure, Kriminelle, Terroristen) ergeben. Angesichts der grundsätzlichen Ambivalenz von Wissen ist Forschung erst dann besorgniserregend, wenn ein substantielles Risiko besteht, dass die Ergebnisse unmittelbar in eine missbräuchliche Folgeverwendung fließen können, die ein erhebliches Schädigungspotenzial aufweist. In solchen Fällen sind Maßnahmen zur Risikominderung nötig, die u. a. eine Veränderung oder, als Ultima Ratio, gar Aufgabe des Projekts, aber auch eine alternative Wahl von Kooperationspartnern einschließen können.

Die ethische Bewertung der Potentiale der Forschung ist zwar zunächst einmal unabhängig von den beteiligten Akteuren. Im Umgang mit China kann aber eine erhöhte Aufmerksamkeit erforderlich sein. Die Forschungsinteressen und Beweggründe der Kooperationspartner sind nicht notwendigerweise deckungsgleich. Unabhängig von den kontrollrechtlichen Fragen der Zusammenarbeit ist deshalb zu eruieren, ob von der chinesischen Seite mit der Forschung neue nicht-zivile Anwendungen anvisiert werden.

Der Gemeinsame Ausschuss von DFG und Leopoldina hat dazu die grundlegende Publikation zur sicherheitsrelevanten Forschung veröffentlicht:

Gemeinsamer Ausschuss zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung (2022) Wissenschaftsfreiheit und Wissenschaftsverantwortung. Empfehlungen zum Umgang mit sicherheitsrelevanter Forschung,
Stand: 1.11.2022
Bestandteil 4: Strategische Dimension des Dual-Use-Problems – Schutz proprietären Wissens
Die Wissenschaft, einschließlich der Grundlagenforschung, steht im geostrategischen und geoökonomischen Brennpunkt, denn sie leistet einen wesentlichen Beitrag zur Schaffung, Anwendung und Weiterentwicklung relevanter Basis- und Querschnittstechnologien. Von solchen „Schlüsseltechnologien“ (key enabling technologies) wie z.B. Künstliche Intelligenz, Biotechnologie oder Photonik wird erwartet, dass sie künftige nationale Machtpositionen begründen können. Unter dem Eindruck der gegenwärtigen geopolitischen Dynamiken, vor allem des Großmachtwettbewerbs zwischen den USA und China, gerät die Möglichkeit eines missbräuchlichen – i. S. v. zum Nachteil Deutschlands/Europas gereichenden – Einsatzes solcher Machtpositionen zu einem weiteren Bestandteil der Dual-Use-Frage. Die deutsche Sicherheitsstrategie fokussiert unter dem Begriff der „Resilienz“ insbesondere auf die technologische Wettbewerbsfähigkeit und die Widerstandsfähigkeit gegenüber ausländischer Einflussnahme und als Waffe eingesetzter ökonomischer Machtpositionen.

Mit den Schlüsseltechnologien wird ein extensiver strategischer Raum abgesteckt, den Deutschland bzw. die EU souverän mitgestalten möchte. Dabei befinden sich all diese Technologien in einem dynamischen Stadium – mitLeitfrage:
Welchen Effekt hat die Kooperation auf die Assets der Forschungseinrichtung?
vielen potentiellen Entwicklungspfaden, die beschritten werden können, und einer weitgehenden Unmöglichkeit, die Wettbewerbsposition einzelner Länder und Regionen eindeutig zu bestimmen. In diesem Stadium Kooperationen zu beschränken bedeutet zwangsläufig, sich selbst von Lernmöglichkeiten und Entwicklungspfaden abzuschneiden. Daher kann die hiesige Wissenschaft am besten zum Ziel eines technologisch souveränen Europas beitragen, wenn sie die Stärken des liberalen Wissenschaftssystems möglichst vollständig ausspielen kann. Technologische Souveränität benötigt internationale Interaktion in der Form verschränkter Kooperation und Konkurrenz, wie sie charakteristisch für die Wissenschaft ist. Aus Sicht von WIKOOP-INFRA sollte grundsätzlich das Prinzip der größtmöglichen Offenheit für Zusammenarbeit deshalb gerade auch in den besagten Technologiefeldern gelten – ebenfalls gegenüber herausfordernden Partnern und Rivalen wie China.

Grundsätzliche Offenheit bedeutet nicht, die konfliktiven Interessenlagen außer Acht zu lassen. Zur realistischen Gestaltung von Kooperationen unter den Bedingungen geopolitischer Rivalität sollten alle Fälle kooperativer Interaktion neben den exportkontrollrechtlichen und wissenschaftsethischen Prüfungen auch den strategischen Kontext einbeziehen.

Für Universitäten und Forschungseinrichtungen bedeutet dies, dass sie den Grenzbereich der Grundlagenforschung (TRL 2-4) im Auge behalten und „Kronjuwelen“ in diesem frühen Stadium des Übergangs zu proprietären Anwendungen sowie in konkreten anderen strategischen anwendungsorientierten Bereichen identifizieren müssen, um dort ggf. Kooperationsbeschränkungen in Abstimmung mit den betroffenen Forschenden festzulegen. Während diese Kronjuwelen – die eindeutig definierten und abgegrenzten Bereiche (Projekte, Daten) mit strategischem Anwendungsbezug – vor ungewolltem Technologietransfer geschützt werden sollten, sind die übrigen Bereiche grundsätzlich für Kooperationen offenzuhalten.

Außerhalb der definierten Bereiche sollten bei internationalen Kooperationen in den Schlüsseltechnologiefeldern folgende Punkte beachtet werden:
  • Ziel- und Strategieorientierung: Bei der Zusammenarbeit sollten die eigenen Ziele klar definiert sein und einen offensichtlichen Mehrwert i.S.v. Kompetenzentwicklung, Zugang zu Daten und anderen wissenschaftlichen Ressourcen bieten.
  • Reziprozität: Die Zusammenarbeit sollte auf einem Fundament stehen, das einen akzeptablen Ausgleich des von beiden Seiten eingebrachten Know-hows bzw. der ermöglichten Zugänge gewährleistet sowie keine einseitigen Abhängigkeiten entstehen lässt.
Zu diesem Punkt hat der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) ein Empfehlungspapier für die Umsetzung eines „außenwissenschaftsrealpolitischen“ Ansatzes veröffentlicht:

DAAD (2024)Die akademische Zusammenarbeit mit China realistisch gestalten. Handlungsempfehlungen des DAAD für deutsche Hochschulen.
Januar 2024.
Verteilung der Verantwortlichkeiten
Die Einhaltung rechtlicher Regeln und die Übernahme der ethischen und strategischen Verantwortung für Entscheidungen und Handlungen im Rahmen der internationalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit sind gemeinschaftliche Aufgaben. Statt sie auf einer Ebene zu konzentrieren, stehen individuelle Forschende, Forschungseinrichtungen und die Wissenschaftspolitik gemeinsam in der Pflicht, eine verantwortungsvolle wissenschaftliche Zusammenarbeit in Zeiten geopolitischer Rivalitäten und Machtverschiebungen zu ermöglichen. Die Allokation der Verantwortlichkeiten sollte nach dem Subsidiaritätsprinzip erfolgen, mit substantiellen Unterstützungsleistungen für individuelle Forschende bei der Wahrnehmung ihrer Verantwortung auf Ebene der Forschungseinrichtung bzw. Universität. Dabei sollten Forschungseinrichtungen an bestehenden Strukturen wie Exportkontrollabteilungen, Ethikkommissionen, International Offices und Technologietransferzentren ansetzen und diese mit Blick auf die oben genannten vier Elemente effizient fortentwickeln. Aus Sicht von WIKOOP-INFRA lassen sich die Verantwortlichkeiten und Verpflichtungen der Ebenen folgendermaßen skizzieren:

Pflichtenteilung auf verschiedenen Ebenen

Pflichten individueller Forschender
Forschende sind in der Regel am besten über die wesentlichen Eckdaten der Kooperation informiert. Wo sie es (noch) nicht sind, z.B. weil die Kooperation von der ausländischen Seite unilateral angestoßen wird, kann von ihnen erwartet werden, dass sie sich einen möglichst guten Überblick darüber verschaffen, warum die Gelegenheit angeboten wird und wie (und durch wen) sie zustande kommt. Sie sind zudem am besten positioniert, die Parameter der avisierten Kooperation mitzugestalten. Dementsprechend kommen individuellen Forschenden folgende grundlegenden Pflichten zu:
  • Rechenschaftspflicht: Individuelle Forschende sind grundsätzlich dafür verantwortlich, dass die rechtlichen, ethischen und strategischen Vorgaben in potentiellen und aktuellen Kooperationen Beachtung finden. Sie haben die relevanten Verfahren einzuhalten, sich bei Unsicherheiten Unterstützung einzuholen und ihnen bekanntwerdende sicherheitsrelevante Informationen zu melden.
  • Auskunftsfähigkeit: Forschende sollten sich über die rechtlichen, ethischen und strategischen Fragen ausreichend Gedanken gemacht haben und angemessen reflektierte Antworten auf u.a. folgende Fragen („Eckpunkte“ der Kooperation) formulieren können:
    • die Identität und Ziele des Forschungspartners;
    • die eigenen Ziele;
    • die Ressourcen, die von den verschiedenen Seiten in die Zusammenarbeit eingebracht werden sollen, und ihr Wert für das Projekt;
    • Umgang mit Forschungsdaten;
    • die zu erwartenden Projektergebnisse, ihre (unmittelbaren) Implikationen und ggf. die Beschreibung von Anwendungspotenzialen;
    • das Verhältnis des Themas der Zusammenarbeit zu den strategischen Bereichen der Einrichtung.
  • Aufmerksamkeit: Forschende sollten während der Kooperation aufmerksam gegenüber Entwicklungen sein, die sich von ihren Erwartungen (den Eckpunkten der Kooperation) unterscheiden und frühzeitig darauf reagieren (ggf. mit Hilfe der Forschungseinrichtung).
Forschende sind verpflichtet, Nebentätigkeiten und Nebeneinnahmen, die im Zusammenhang mit ihrer Beschäftigung an der Forschungseinrichtung stehen, offenzulegen und sich ggf. genehmigen zu lassen.
Pflichten der Forschungseinrichtung
Die Forschungseinrichtungen tragen ebenfalls eine Verantwortung für die Einhaltung der individuellen Verantwortlichkeiten. Ihnen obliegt es, eine umfassende Unterstützungsstruktur für ihre Wissenschaftler:innen zu entwickeln bzw. den Zugang hierzu über Partnerorganisationen und Netzwerke zu organisieren. Darüber hinaus ist es wichtig insbesondere für die Leitung der Forschungseinrichtung, die strategische Ziele für Kooperationen mit verschiedenen Ländern, z.B. mit China, zu definieren. Sie müssen ebenfalls eine Abwägungsentscheidung darüber treffen, welche Ressourcen und Projekte („Kronjuwelen“) als strategisch eingestuft und damit für Kooperationen beschränkt werden, und die dafür Sorge zu tragen haben, dass diese Wissensbestände und Projekte ggf. mit Partnern aus Deutschland bzw. Europa zur Stärkung der technologischen Wettbewerbsfähigkeit ein- bzw. umgesetzt werden. Außerhalb der eng umrissenen, ökonomisch (ggf. militärisch) absehbar verwertbaren Wissensgüter, die von der Einrichtung bestenfalls rechtlich (z.B. als eigenständige Unternehmung) und möglichst auch physisch (z.B. in einem Inkubator, einer separaten IT-Infrastruktur) getrennt werden, sollte die offene wissenschaftliche Kooperation grundsätzlich unterstützt werden.

Im Verantwortungsbereich der Forschungseinrichtung/Universität sind folgende Punkte relevant:
  • Strategisches Management: Entwicklung strategischer Kooperationen, die den Zielen der Forschungseinrichtung, nationalen Zielen und/oder globalen Zielen (inkl. Science-Diplomacy-Zielen) dienen, bestenfalls im Dialog mit den ausländischen Kooperationspartnern; Definition der strategischen Bereiche mit beschränktem Zugang
  • Komplementäre Maßnahmen: Maßnahmen zur Cyber-Sicherheit und Sicherung geschützter Bereiche (insbesondere Daten); Monitoring der Technologie- bzw. Anwendungspotenziale innerhalb der Forschungsbereiche der Einrichtung, speziell im Hinblick auf die deutschen bzw. europäischen Technologieschwerpunkte
  • Unterstützungsleistungen: Benennung bzw. Einrichtung von Ombudspersonen bzw. -gremien für wissenschaftliche Integrität; Exportkontrollbeauftragten bzw. -abteilungen; Kommissionen für Ethik sicherheitsrelevanter Forschung (KEF); Trainingsmaßnahmen zu den Prozessen des Kooperationsmanagements; Maßnahmen zur Sensibilisierung der Wissenschaftler:innen und der Wissenschaftsadministration für geopolitische Risiken; Services für ausländische Forschende
  • Kooperationsmanagement: Einführung von Strukturen zur effizienten Zusammenführung der genannten Unterstützungsleistungen; Entwicklung eines prozeduralen Verfahrens zur effizienten Erhebung von relevanten Informationen über die Kooperationsphasen hinweg für die Anfangs-, (ggf.) Zwischen- und Endbewertung der Kooperation; Einführung von vertraglichen Dokumenten, mit denen die Kooperationspartner ihr Bekenntnis zu Integrität, Transparenz und Reziprozität (v.a. im Umgang mit geistigem Eigentum und Forschungsdaten) schriftlich festhalten; Einrichtung partizipativer Entscheidungsverfahren bezüglich der Aufnahme risikobehafteter Kooperationen, der Ziehung der Exit-Option in Folge einer Zwischen-Evaluation; die Besprechung und Festlegung von Konsequenzen für die zukünftige Kooperation bei schlechten End-Evaluationen.
Pflichten der Wissenschaftspolitik
Wie das Projekt WIKOOP-INFRA zeigt, können einzelne Forschungseinrichtungen durchaus einen wichtigen Beitrag zur Initiierung eines Dialogs mit herausfordernden Kooperationspartnern zu den Prinzipien der Kooperation leisten. Für eine effektive „Science Diplomacy“ ist es jedoch zielführender, den Dialog auf eine höhere Ebene zu heben. Die großen Wissenschaftsorganisationen wie z.B. die Hochschulrektorenkonferenz, die Leopoldina, die Max-Planck-Gesellschaft oder die Helmholtz-Gemeinschaft können hierbei eine besonders effektive Rolle bei der Förderung von Austausch und Vernetzung der Wissenschaft im nationalen und internationalen Rahmen sowie bei der distanzwahrenden Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Politik spielen. Trotz – oder gerade wegen – des gegenwärtigen Misstrauens und der Zweifel an der Effektivität des Austauschs sollten die Wissenschaftsorganisationen aus Sicht von WIKOOP-INFRA gemeinsam drei wichtige Funktionen erfüllen:
  • Diskussionsfunktion, um den Austausch über die Herausforderungen der wissenschaftlichen Kooperation zwischen den nationalen/europäischen Stakeholdern sowie die Verständigung mit außereuropäischen Partnern, insbesondere solchen aus Ländern mit anderen Werten- und Interessenkonstellationen, voranzutreiben
  • Koordinationsfunktion, um den Interessen der hiesigen Wissenschaft gegenüber internationalen Partnern Geltung zu verschaffen, den Wert der Kooperation für große, forschungs(mittel)starke Forschungseinrichtungen aus dem Ausland zu steigern und um (ggf. multilaterale) globalwohlinteressierte Projekte erfolgreich zu initiieren und durchzuführen
  • Informationsfunktion, um gemeinsam Plattformen zu schaffen bzw. zu unterstützen, die faktenbasierte, zugängliche Überblicke und Analysewerkzeuge zu globalen wissenschaftlichen sowie wissenschaftspolitischen Dynamiken, speziell mit Blick auf die Schlüsseltechnologien, aus wissenschaftlicher Perspektive bereitstellt und die damit die kooperationsstrategischen Überlegungen der Universitäten und Forschungseinrichtungen unterstützen können.
Die Politik kann hierbei zum einen im Sinne einer „Diplomacy for Science“ beitragen, indem sie z.B. in den Regierungskonsultationen mit Ländern wie China den Boden für den dezentralen Wissenschaftsaustausch bereitet. Darüber hinaus kann sie die verschiedenen Funktionen unterstützen, indem sie Geld für den nachhaltigen Aufbau und Betrieb von Diskussions-, Koordinations- und Informationsplattformen sowie für die Ausbildung von Regionalkompetenz und -expertise zur Verfügung stellt.

Zweifelsohne kann die Bereithaltung konkreter sicherheitsrelevanter Informationen durch die Behörden ebenfalls wichtig für Kooperationsentscheidungen auf individueller und institutioneller Ebene sein. Davon zu unterscheiden sind Pläne zum Aufbau von behördlichen Selektions- und Entscheidungsplattformen und -systemen, die basierend auf abstrakten Gefahrenlagen, breiten Technologiefeldern und/oder grober Kategorisierungen ganzer Universitäten und Forschungseinrichtungen Beschränkungen auferlegen, obwohl die beteiligten Forschenden bzw. Forschungseinrichtungen in diesen Entscheidungssituationen einen deutlichen Wissensvorteil besitzen. Die Wissenschaftsorganisationen sollten mäßigend auf solche Pläne und Gedankenspiele einwirken und die Behörden (sowie natur-/technikwissenschaftsferne Think Tanks und Experten) vor der Komplexität und den Risiken eines solchen Unterfangens warnen.
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